Anfang Juli hat der Landrat Bernhard und die Geschäftsleitung des Klinikverbundes Südwest das Fachgutachten zum Medizinkonzept 2030 in Teilen öffentlich gemacht. Dieses Gutachten sieht große Anpassungen in der Krankenhauslandschaft in den Landkreisen Böblingen und Calw vor. Vor allem in Herrenberg stehen lt. Gutachten große Veränderungen an. Konkret: Die Wandlung des Krankenhauses in ein ‚Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ)‘ mit rein ambulantem Leistungsspektrum. Was dies im Detail bedeutet, ist bisher noch unklar.
Die Enttäuschung und Verärgerung in Herrenberg sind groß. Sowohl die Kommunalpolitik als auch die Mitarbeiter/innen, die Patienten/innen und die Kooperationspartner haben in den letzten Jahren weitreichende Veränderungen am Krankenhaus konstruktiv mitgetragen. Die geforderte Spezialisierung wurde umgesetzt und damit nachweisbare Erfolge erzielt. Dies geschah im festen Vertrauen auf die Worte des Landrates und Aufsichtsratsvorsitzenden des Klinikverbundes Südwest, dass das Herrenberger Krankenhaus als Einrichtung eine Perspektive hat.
Gemäß den Ausführungen von Landrat Bernhard bei der Informationsveranstaltung am 17.07.2023 ist das aktuelle Gutachten lediglich der Beginn eines Diskussions- & Beteiligungsprozesses; Entscheidungen seien noch nicht getroffen. Diese Zusage muss eingehalten werden!
Ein Medizinkonzept steht im Kontext sehr vieler Faktoren. Veränderungen am Konzept des Klinikverbundes müssen daher wohl durchdacht und äußerst sorgfältig abgewogen werden - pauschale Forderungen nach dem Erhalt des Status Quo greifen zu kurz. Für den CDU Stadtverband Herrenberg - Nufringen - Deckenpfronn ist klar, dass insbesondere nachfolgende Aspekte bei der Festlegung der zukünftigen Strategie für den Krankenhausstandort Herrenberg berücksichtigt werden müssen:
a) Die Qualität der medizinischen Versorgung im Großraum Herrenberg darf sich keinesfalls verschlechtern. Qualität umfasst hierbei nicht nur die medizinische Behandlung selbst, sondern bspw. auch die mit der Behandlung in Zusammenhang stehenden Transporte und die damit einhergehenden Belastungen für die Patientinnen und Patienten.
b) Die Funktionsfähigkeit der medizinischen Versorgung für die Breite der Bevölkerung zeigt sich u.a. im Zusammenspiel der niedergelassenen Haus- & Fachärzte/innen mit unserem Krankenhaus. Dieses Zusammenspiel muss bei den Überlegungen zum Herrenberger Krankenhaus ein wesentlicher Aspekt sein; bspw. mit Blick auf die Verfügbarkeit von Betten, die Verfügbarkeit von Transportkapazitäten, u.a.m.
c) Das wirtschaftliche Ergebnis des ‚Verbunds als Ganzes‘ muss signifikant verbessert werden. Ende 2023 wird das verbundweite Jahresdefizit für die medizinische Krankenhausversorgung der 560.000 Einwohner/innen im Klinikverbund Südwest ca. 50 - 60 Mio. € betragen. Dieses finanzielle Defizit muss deutlich reduziert und die Wirtschaftlichkeit des KVSW erhöht werden; dies schon allein aus Gründen der Generationengerechtigkeit.
d) Der Fachkräftemangel - sowohl beim Pflegepersonal als auch bei Ärztinnen & Ärzten - ist auch in Herrenberg und im Landkreis angekommen. Die enorm gestiegene Anzahl von Leasing-Ärzten in unseren Krankenhäusern und der verstärkte Rückgriff auf Leiharbeitskräfte machen dies deutlich. In den kommenden Jahren wird der Fachkräftemangel weiter zunehmen und nicht nur unser Krankenhaus, sondern auch unsere Hausarztpraxen und niedergelassenen Fachärztinnen & -ärzte vor enorme Herausforderungen stellen. Unsere medizinische Versorgungslandschaft hier in Herrenberg als Ganzes muss auf den Fachkräftemangel bestmöglich vorbereitet werden.
e) HerrenbergbietetmitseinerüberJahrzehntegewachsenenundetabliertenEhrenamtsstrukturein Pfund, das kein anderer Standort im Klinikverbund Südwest - aber auch weit darüber hinaus - in dieser Breite und Stabilität bietet. Das Zusammenwirken zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen funktioniert hervorragend. Es bietet Vorteile in vielerlei Hinsicht und führt zu einer starken Verwurzelung des Krankhauses in der Herrenberger Bevölkerung. Eine solche Ehrenamtsstruktur darf (vor allem in gesellschaftlich herausfordernden Zeiten wie diesen) nicht aufs Spiel gesetzt werden und kann - egal an welchem Standort - nicht innerhalb weniger Jahre aufgebaut werden. Es wäre fatal, die Chancen, welche sich aus der Zusammenarbeit mit der Evangelischen Diakonieschwesternschaft Korntal-Münchingen und dem Engagement der Ehrenamtlichen bieten, zukünftig nicht zu nutzen.
f) Die medizinische Notfallversorgung - vor allem die Notfallversorgung von älteren Menschen - ist ein weiteres wesentliches Kriterium bei der Bewertung der geplanten Veränderungen. Bei Schlaganfällen und Herzinfarkten ist die Versorgung bereits jetzt gut geregelt: Ein Linkskatheter- Messplatz sowie eine Stroke-Unit stehen aktuell in Leonberg bzw. Sindelfingen zur Verfügung und die Notfallketten sind entsprechend organisiert. Die Notfallversorgung umfasst jedoch weit mehr: Stürze, Brüche, Darmverschlüsse, Herzinsuffizienzen, Atemnot u.a.m. - nicht selten bei Bewohnern/innen unserer hiesigen Pflegeheime. Bei der Notfallversorgung und der Gestaltung der Notfallketten darf es keine Abstriche geben; bestehende Strukturen müssen in eine etwaige Neugestaltung eingebunden und Kapazitäten ggf. ausgebaut werden.
g) Die stationäre medizinische Versorgung einschließlich medizinischer Notfallversorgung in Herrenberg muss in öffentlicher Trägerschaft bleiben. Eine Privatisierung kommt nicht in Betracht.
Den von Landrat Bernhard zugesagten Beratungsprozess mit öffentlicher Beteiligung begrüßen wir ausdrücklich – haben gleichzeitig aber große Erwartungen an diesen Prozess:
(1) Die vielen - sehr berechtigten - Fragen und Anregungen aus der Bevölkerung und den betroffenen Personen (Mitarbeiter/innen, Hausärztinnen & Hausärzte, ...) insbesondere zum Thema Frauenheilkunde und Geburtshilfe müssen umfassend und nachvollziehbar beantwortet werden bzw. in den Planungen Berücksichtigung finden.
(2) Im Rahmen des Prozesses muss vollständige Transparenz hinsichtlich der Datenlage, der Entscheidungskriterien und den Auswirkungen hergestellt werden. Interessierte Bürger/innen müssen einfachen Zugang zu diesen Daten bekommen. (Das versprochene komplette Gutachten liegt nach wie vor nicht vor).
Wir fordern von den handelnden Personen jedoch detaillierte Konzepte und Vorschläge, wie bzw. mit welchen Anpassungen der Krankenhausstandort Herrenberg erhalten werden kann. Hier sind der Aufsichtsrat des KVSW, das Beratungsunternehmen Lohfert & Lohfert, der Kreistag sowie die Klinikleitung gleichermaßen in der Pflicht. Ein Ansatz könnte unserer Einschätzung nach unter anderem der stationäre Ausbau der Geriatrie sowie die Palliativmedizin sein. Mit Blick auf die Frauenheilkunde und die Geburtshilfe schließen wir uns den Forderungen der Frauen Union an.
Für den Stadtverband
Tobias Pfander Co-Vorsitzender
Albrecht Stickel Co-Vorsitzender
1) Größtmögliche Transparenz und angemessene Fristen bei der Information und Einbindung der Bürger/innen, Entscheidungsträger/innen und Mitarbeiter/innen.
2) Prüfung aller Optionen, um das Krankenhaus in Herrenberg zu erhalten und wirtschaftlich nachhaltig im Gesamtverbund zu führen.
3) Detaillierte Darstellung des Fachgutachtens, der Fakten sowie der Pro- und Contra-Argumente in für Laien verständlicher Sprache.
4) Offenlegung der betriebswirtschaftlichen Zahlen der einzelnen Häuser im Klinikverbund inkl. deren Herleitung (bspw. Verrechnungssätze, etc.). Erarbeitung einer Strategie, wie die großen Häuser im KVSW in die Wirtschaftlichkeit geführt werden können, um die kleineren Häuser mitfinanzieren zu können?
5) Detaillierte Erläuterung, inwiefern die geplanten Veränderungen zu einer Verringerung des Defizits auf Klinikverbund-Ebene führen. Worin liegen konkret die Einsparungen und wie hoch sind diese jeweils? Wo entstehen Mehrkosten an anderen Standorten? Welche sonstigen Einsparungen wird der Klinikverbund – parallel zu den Maßnahmen in Herrenberg – umsetzen?
6) Bitte um Vorlage eines detaillierten Zeitplans bzgl. der bisher geplanten Maßnahmen.
7) Welche Auswirkungen haben die geplanten Änderungen auf das ehrenamtliche Engagement und auf die Zusammenarbeit mit der Diakonieschwesternschaft? Wie wird sichergestellt, dass diejenigen, die bereits in Herrenberg tätig sind - egal ob Fachkräfte oder Ehrenamtliche - dem KVSW erhalten bleiben?
8) Wie wirken sich die geplanten Strukturqualitätsvorgaben vom Bund auf den Klinikverbund insgesamt, und auf den Krankenhausstandort Herrenberg im Besonderen, aus?
9) Aus welchen konkreten Gründen werden Leistungen aus Herrenberg nach Calw und Nagold verlegt? Wie hoch sind die damit einhergehenden Investitionskosten? Über welchen Zeitraum sollen die aus Herrenberg verlagerten Leistungen in Nagold bzw. Calw betrieben werden (bspw. die Geburtshilfe in Nagold)?
10) Wie soll das Notfallkonzept für Herrenberg konkret gestaltet sein? Wo werden zu welchen Tages-/Nachtzeiten, welche Notfälle behandelt? Wie sehen die Notfallketten mit Blick auf die Kapazitäten, Transportwege und Transportzeiten aus?
11) In welchem Zusammenhang stehen die Überlegungen zur Struktur des Klinikverbundes mit der geplanten Krankenhausreform auf Bundesebene? Welche Auswirkungen haben die aktuellen Absprachen zwischen dem Bundesgesundheitsminister und den Gesundheitsminister der Länder auf das Krankenhaus Herrenberg?